Kompass ohne Norden by Shusterman Neal

Kompass ohne Norden by Shusterman Neal

Autor:Shusterman, Neal [Shusterman, Neal]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Jugendbuch
Herausgeber: Hanser
veröffentlicht: 2015-08-19T22:00:00+00:00


90 Kampf der Atlanten

Sie machen Hal zu deinem Zimmergenossen. Dein früherer Zimmergenosse, dessen Namen und Gesicht du schon vergessen hast, wurde heute früh entlassen. Hal zieht ein, bevor das Bett kalt ist.

»Ihr scheint euch zu verstehen«, sagt ein Pastell zu dir. »Hal hat noch mit niemandem ein Zimmer teilen können, aber dich mag er. Das verstehe, wer will.«

Du weißt nicht genau, ob das ein Kompliment ist oder eine Beleidigung.

Hal kommt mit einer überladenen Mappe voller Karten, die aus Atlanten gerissen und vom Automobilclub geklaut sind. »Meine Mutter bringt mir ab und zu neue mit«, sagt er. »Jeder Zuwachs ist ein Schritt in die richtige Richtung.«

Auf die Verbindungslinien, die er zwischen den Städten zieht, hat er rätselhafte Sachen geschrieben. Und er verkündet mit solcher Autorität zusammenhanglose Tiefsinnigkeiten, dass man sie sofort aufschreiben und an die Wand hängen will, aber Schreibgeräte sind nur im Gemeinschaftsraum erlaubt.

»Der Mensch verliert sich oft in einem Fehlen von technologischem, physiologischem, astrologischem Lebenssinn, der sich am besten beschreiben lässt als jede Menge Nichts, versetzt mit einem offensichtlichen Hauch Scotch«, sagt Hal. Du wünschst dir, du könntest es dir merken, damit du es deinen Eltern vortragen und ihnen zeigen kannst, dass auch du tiefsinnig bist – aber im Augenblick gehen dir solche Sachen nicht bloß zu einem Ohr rein und zum anderen wieder raus, sondern sie teleportieren direkt und überspringen den Raum zwischen den Ohren.

Hal spricht von Mathematik, von euklidischer Perfektion, vom Goldenen Schnitt. Du erzählst ihm von den unsichtbaren Bedeutungslinien, die du fühlen kannst – wie sie sich durch und um die Menschen in deinem Leben winden und dehnen. Er wird ganz aufgeregt, was dich auch erregt.

»Du begreifst es!«, sagt er. »Du siehst das große Ganze.« Auch wenn dein großes Ganzes nicht das gleiche ist wie seins, scheinen sie sich doch sauber übereinanderlegen zu lassen, wie Teile einer Partitur – völlig unverständlich für den, der keine Noten lesen kann, bis alle Instrumente zu spielen beginnen.

»Deine Bilder sind Karten«, sagt er. »Linien und Kurven, die Kontinente von Bedeutung enthalten, Zentren von Wirtschaft und Kultur. In jedem Bogen Handelsrouten und Verkehrswege.« Er fährt mit dem Finger über die Linien deines letzten Werks, das an die Wand geklebt ist.

»Was wir als Kunst wahrnehmen, sieht das Universum als Wegweiser«, verkündet er. Wohin sie den Weg weisen, weiß jedoch keiner von euch beiden so genau.



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